Marken

Emanzipation als Brand Purpose
Female Empowerment vs. Feminismus

Gastbeitrag von Erika Schuller

Starten wir mit einem kleinen Experiment. Fragen wir einen x-beliebigen Mann oder eine x-beliebige Frau, auf der Straße, im Büro, im Café oder wo auch immer, ob er oder sie sich als Feminist*in bezeichnen würde. Die Antwort wäre in den meisten Fällen wohl »nein«, wahrscheinlich gepaart mit einem leicht schockierten Gesichtsausdruck.

Chanchengleichheit gern, Feminismus nein danke

Was auf den ersten Blick eine gewagte These zu sein scheint, wurde vom Hamburger Markt- und Meinungsforschungsinstitut Ipsos in einer Studie klar belegt. Nur 28% der deutschen Frauen und 18% der deutschen Männer können sich mit dem Terminus »Feministin« bzw. »Feminist« identifizieren.
Wenn man jedoch die gleichen Personen fragen würde, ob sie der Meinung seien, dass Frauen wie Männern die gleichen Rechte und Möglichkeiten zustehen sollten – seien es soziale, wirtschaftliche oder politische – sähen die Antworten wohl ganz anders aus. So gaben ganze 65% der Befragten an, dass das Erreichen von mehr Gleichberechtigung ihnen ein wichtiges persönliches Anliegen sei (Ipsos Global Advisor, 2019).

Obwohl Feminismus exakt diese Chancengleichheit der Geschlechter einfordert, die von einem Großteil der befragten Personen nicht nur gewünscht, sondern als persönliches Anliegen formuliert wird, ist der Begriff äußerst negativ besetzt (Oxford Advanced American Dictionary, 2020). Das Klischee der BH-verbrennenden, männerhassenden Frau mit einem Faible für lange Achselbehaarung und lila Latzhosen hält sich scheinbar noch hartnäckig. Feminismus hat ein Imageproblem – die Werthaltung, die dahintersteht, hat es jedoch keineswegs.

Femvertising im Trend

Diese Diskrepanz haben Marketeers gesehen und verstanden: Seit Beginn der 2000er Jahre bedient sich die Markenkommunikationslandschaft eines stetig zunehmenden Trends, der sich von Konsumgütern bis hin zu Luxusprodukten quer durch alle Branchen zieht: Female Empowerment Advertising, kurz Femvertising. Femvertising setzt bewusst weiblich-orientierte Botschaften und Bilder ein, die Frauen und Mädchen stärken.(Toonen, 2016). Da gerade für die Generation Y und Z der Brand Purpose zu einem zentralen Kauf- und Konsumfaktor geworden ist, haben Marken verstanden, dass sie zu den relevanten Themen unserer Zeit Stellung beziehen müssen — darunter auch die Gleichstellung der Geschlechter.

Das Resultat: Immer mehr Marken zelebrieren Female Empowerment in Kampagnen oder fordern Frauen auf, für ihre Rechte zu kämpfen.
Dass dies nicht nur ein kurzweiliger Trend ist, sondern eine anhaltende Entwicklung, zeigt auch die Initiierung verschiedener Preise wie die Vergabe des Femvertising-Awards durch SheKnows Media oder des Cannes Glas Lion, der Commercials auszeichnet, die sich für mehr Gendergerechtigkeit einsetzen.

Das Rebranding des F-Worts

Wenn man jedoch den Umgang mit dem Thema beobachtet, so fällt auf: Marken vermeiden in ihrer »empowernden« Kommunikation konsequent das F-Wort. Sie bedienen sich feministischer Werte, erweitern den feministischen Diskurs, thematisieren Problemstellungen und Tabus und bieten manchmal sogar Lösungsansätze. All dies jedoch tun sie stets unter der Flagge »Female Empowerment«. Die Angst, durch die Nutzung des negativ konnotierten Feminismus-Begriffs potenzielle Kund*innen abzuschrecken oder bei diesen anzuecken, ist so groß, dass peu à peu ein »Soft Re-Brandig« des Feminismus in Form von »Female Empowerment« stattgefunden hat. Es werden vermarktungsfähige Werte identifiziert, die nicht zu kontrovers sind, als dass sie Reaktanz erzeugen, aber noch »Avantgarde« genug, ohne bereits als verbraucht zu gelten oder zu sehr im allgemeinen Konsens angekommen zu sein.

Während Feminismus laut, unangenehm und vor allem nervend ist, ist Female Empowerment affirmativ, positiv und vermittelt ein gutes Gefühl. Durch den Kauf eines »The Future is Female« T-Shirts kann man nicht nur ein Statement setzen und das persönliche Selbstbild nach innen und außen konstruieren, sondern man bezieht auch zu soziokulturellen und politischen Themen Stellung, ohne sich allzu sehr mit dem feministischen Diskurs auseinander setzen zu müssen. Auch der Kauf eines Audis fühlt sich so gleich noch besser und sogar als kleiner Beitrag zur Gleichberechtigung an, mit den Erinnerungen an den Superbowl-Spot „Daughter“ im Gedächtnis. Female Empowerment, ja – Feminismus, bitte nicht.

Feminismus ist Werthaltung

Wie bei vielen anderen Dingen ist auch der Umgang mit Female Empowerment und Feminismus nie schwarz oder weiß. Es ist positiv zu bewerten, dass Marken verstärkt Haltung zu sozialen und politischen Themen beziehen, sich für positive Veränderung intern im Unternehmen und extern in der Markenkommunikation einsezten und dadurch ihr Image und ihre Identität ausdifferenzieren. Das gelingt, wenn die Werthaltung authentisch und nachhaltig mit dem Markenkern und den Markenwerten verheiratet wird, und zu einem inhärenten Teil der Marke wird. Es ist großartig, dass Geschlechtergleichstellung auf eine affirmative Weise durch Female Empowerment einer großen Gruppe an Konsument*innen zugänglich gemacht wird. Dass der Begriff Feminismus bisher nicht positiv neu besetzt werden konnte und damit Marken, deren Produkte und Services sich nicht explizit an Frauen richten, als Purpose eher fremd bleibt, ist dennoch bedauerlich. Warum das so ist? Weil Female Empowerment nur ein Teil des feministischen Spektrums ist. Anders, als der Begriff vielleicht suggerieren mag, inkludiert Feminismus auch Männer. Ihnen spricht Feminismus wie Frauen das Recht zu, sich von stereotypen Rollen zu lösen. Und das leistet Female Empowerment bislang leider nicht. Und darin liegt eine große Chance für Marken, diesen Purpose glaubhaft zu leben.

 

Unsere Gastautorin

Erika Schuller, geb. 1992, lebt und arbeitet in Berlin. Sie ist Gewinnerin des German Design Awards 2021 für ihre Arbeit als Design und Brand Managerin in einem Münchner Software-Unternehmen. Seit 2020 lehrt sie an der Hochschule Pforzheim im Master Studiengang Creative Communication and Brand Management. Ihr Tätigkeitsschwerpunkt liegt im Spannungsfeld zwischen Markenentwicklung, Design und Female Empowerment.