Marken

Zwischen Selbsterkenntnis & Selbstähnlichkeit. Vom Umgang mit Markenwerten

Seit einiger Zeit schickt Patagonia mobile Reparaturwerkstätten auf Worn Wear Tour.

Markenwerte sind zum wichtigsten Differenzierungsmerkmal geworden. In einer Zeit immer ähnlicher werdender Produkte und Services brauchen Marken ein belastbares Wertegerüst, das ihnen nach innen Halt gibt und nach außen Identifikationspotential schafft — für die Menschen, die diese Werte teilen. Dem eigenen Ich treu zu bleiben, langfristig das Gespür für den Zeitgeist zu wahren und die richtigen Impulse zu setzen, ist dabei eine Herausforderung für jede Marke — insbesondere für Lifestyle-nahe Branchen. Dass selbstähnliche Markenführung bei gleichzeitiger Wahrung der eigenen Kernwerte essentiell ist, um die jeweilige Zielgruppe zu erreichen, zeigen drei Beispiele aus der Textilindustrie.

Engel im Sinkflug — Victoria’s Secret

Sexyness, so lautet der Kernwert von Victoria’s Secret, und an diesem hält die Marke fest. Jedoch scheint VS nicht zu realisieren, dass mittlerweile ein anderes sexy sexy ist. Nämlich ein individuelles, selbstbewusstes und weniger genormtes, fremdbestimmtes Körperbild.

Einst und jetzt. Victoria’s Secret Fashion Show Finale 2005
Victoria’s Secret Fashion Show Finale 2017

Neben Wäsche-Inszenierungen mit höchst normal proportionierten Frauen und (hochschwangeren) Models wie von Savage x Fenty vorgemacht, sieht das Defilee der Engel wie aus der Zeit gefallen aus. Die Marke segelt weiter beharrlich im Windschatten der Supermodelhysterie der 1990er Jahre und zahlt mittlerweile einen hohen Preis dafür. Versuche, die Marke zu verjüngen, legen den Verdacht nahe, dass man bei VS zwar versteht, was ihre Kundinnen sagen, aber nicht, was sie meinen. Das spiegelt sich in der komfortableren Zweitlinie Pink wider, die eine neue Generation an- und zu Engeln erziehen soll. Sowohl Naming als auch Branding — pinke Wortmarke in einem Slab-Font — zeugen dabei von wenig Instinkt. Und mit Date-BHs gewinnt man gewiss keinen Pinken Pudel.

Rückbesinnung auf Markenwerte — MCM, Phönix aus der Asche

MCM hat eine bemerkenswerte Trendwende gemeistert. In den 80er Jahren war die Münchner Antwort auf das Logo-Gepäck von Louis Vuitton ein Must Have der globalen Schickeria.

MCM-Kampagne ‚Avatar‘, F/W 2018 mit Rich the Kid und Sita Abellán

Gründer Michael Cromer suchte gezielt die Nähe zu internationalen Influencern, bevor diese überhaupt erfunden waren. Mit Erfolg: Die Stars der 70er, 80er und frühen 90er Jahre schmückten sich mit Relief Noir-Taschen und -Koffern, und die Marke schmückte sich mit ihnen. Ende der 90er Jahre geriet das Label in eine schwere Krise; wirtschaftliche und Imageschäden ließen das Lorbeerkranz-Label aus dem Straßenbild außerhalb Asiens fast verschwinden. Doch nach langer Durststrecke auf dem europäischen Markt der 2000er Jahre gelang es der neuen kreativen Führung, die Marke zu verjüngen, zeitgemäß aufzuladen und damit  wieder zu beleben. Hipster, nicht zuletzt aus Berlin, brachten Vintage-MCM-Accessoires als halbironisches Statussymbol zurück auf die Straße, was man bei MCM augenscheinlich dankbar aufgriff. Erneut bewies die Marke Geschick in Kooperationen mit Kreativen, Künstlern und Musikern als MarkenbotschafterInnen. Die Inszenierung zeugt eindeutig vom Bekenntnis zur Heritage der Marke als internationaler Trendsetter: glamourös, extravagant, hedonistisch.

Markenwerte als festes Fundament — Patagonia

Glaubwürdigkeit ist die wichtigste Währung des Outdoor-Ausrüsters, der aufgrund seine gehobenen Preise den Spitznamen Patagucci trägt. Qualität, die lange hält, war und ist das Credo des Gründers Yvon Chouinard. Der Bigwall-Kletterer stellte ab 1972 zunächst Haken her und erweiterte nach und nach das Sortiment um Surfausrüstung und Jacken. „Mach das bestmögliche Produkt. So war es am Anfang mit den Kletterhaken. Wir haben sie für uns gemacht. Unser Leben hing von den Dingern ab. Und so sollte es mit allem anderen auch sein.”

Die legendäre Black Friday-Anzeige
Patagonia Worn Wear Tour: Werte erhalten

Die Kompromisslosigkeit der Marke ist ihr Erfolgsrezept. 2017 machte das Unternehmen einen Umsatz von rund 800 Millionen Dollar, trotz – oder gerade wegen – eines minimalen Aufwandes für Werbung im klassischen Sinne. Vielmehr appellierte man 2011 pünktlich zum Black Friday per Anzeige: „Don’t buy this jacket“. Seit einiger Zeit schickt Patagonia mobile Reparaturwerkstätten auf Worn Wear Tour. So können Kundinnen und Kunden ihre getragenen Produkte kostenlos von Experten ausbessern und reparieren lassen, anstatt sie durch neue zu ersetzen. Auf wornwear.patagonia.com werden gebrauchte Produkte des Labels verkauft. Und man kann von seinen Naturerlebnissen berichten, bei denen einen das Lieblingsteil begleitet, gewärmt, geschützt hat. Diese loyale, wachsende Community ist das Ergebnis einer konsequent selbstähnlichen Markenführung, die ohne die Werte des Gründers kaum denkbar wäre. Und diese sind aktueller denn je.